Historie der Gemeinde der Jerusalem Kirche zu Hamburg
Die Gemeinde ist eine Gründung der Irish Presbyterian Church. Deren Missionsgesellschaft entsandte Mitte des 19. Jahrhunderts den Pastor James Craig nach Hamburg mit dem Auftrag, auf ihre Übersee-Passage wartenden jüdischen Auswanderern materielle und geistliche Unterstützung zu bieten.
Diese von der Belfaster Generalversammlung ausschließlich als Judenmission gedachte Tätigkeit weitete sich aus. Mit den in Deutsch und Englisch abgehaltenen Predigten, die inhaltlich der angelsächsischen Erweckungsbewegung zuzuordnen sind, fanden sich bald mehrheitlich Christen zu den Andachten ein. Diese wurden zunächst in den Räumen der Patriotischen Gesellschaft, dann in denen der englisch-reformierten Kirche abgehalten. Seit 1847 bezeichnete sich diese Gruppe als „Evangelische Jerusalem Gemeinde“, die immer größer wurde. Um eine Lösung für das bestehende Raumproblem zu finden sowie den Verdacht der Sektenbildung zu vermeiden, wurde die Anerkennung der Gemeinde seitens des Senats angestrebt.
Durch das große auch wirtschaftliche Engagement des Pastors James Craig wurde 1861 in der damaligen Königstraße, der heutigen Poststraße, in der Innenstadt mit dem Bau einer eigenen Kirche begonnen, die im Juli 1862 ihre Einweihung erlebte. Mit der Realisierung des Baus wurden die Architekten Ernst Heinrich Glüer und Carl Remé beauftragt.
Gesellschaftliche und politische Entwicklungen der Jahre um 1871, aber auch die wirtschaftliche Unterstützung der Gemeinde durch Belfast führten schließlich dazu, dass 1874 die Einrichtung auf die Irish Presbyterian Church für die nächsten 90 Jahre übertragen wurde.
Nach dem Ausscheiden von Pastor Craig wurde Pastor John Cambell Aston zur Fortführung der Arbeit an der Jerusalem-Kirche berufen.
Aston konzentrierte sich auf die Arbeitsfelder Gemeindebildung und Judenmission.
Die Blütezeit der Jerusalem-Gemeinde, die bis in die 1930er Jahre anhalten sollte, begann.
Nachhaltig prägte der von Pastor Aston 1877 getaufte ungarische Jude Arnold Frank das Gemeindeleben. Frank war nach Hamburg, zum europäischen „Tor der Welt“, gekommen, um in einem hiesigen Bankhaus zu arbeiten. Der Besuch der Jerusalem-Kirche, vor allen Dingen die Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit Pastor Aston und dessen Familie, bewog ihn, Theologie zu studieren. Nach dem Ende seines fünf Jahre andauernden Studiums in Belfast, wo er auch seine spätere Ehefrau Ella-Louisa Kinghan kennen lernte, kehrte er 25-jährig nach seiner Ordination 1884 nach Hamburg zurück.
In den Jahren bis zum ersten Weltkrieg wurde die Hamburger Judenmission der Jerusalem-Gemeinde unter Arnold Frank, neben der Mission in London, zum Zentrum der judenmissionarischen Aktivitäten.
Dr. Arnold Frank gründete ein Missionshaus in der damaligen „Eimsbütteler-Straße“ (heute Budapester Straße), in dem jüdische Männer auf ihrem Weg nach Übersee Unterkunft, Arbeit und Bibelunterricht erhielten.
Das von ihm verlegte Mitteilungsblatt „Zions Freund“ erwies sich über Deutschlands Grenzen hinaus als judenmissionarisches Forum.
Durch das Blatt verstärkten sich die Missionsaktivitäten der „Jerusalem-Gemeinde“ außerordentlich.
Zeitweilig konnte eine Auflage von 40.000 Exemplaren erreicht werden, die unter anderem auch in die jüdischen Siedlungsgebiete Osteuropas versandt wurden.
Ausgehend vom Missionshaus der Gemeinde entwickelte sich auch die Arbeit der Schwestern zu einer tragenden Säule der Gemeindearbeit.
Die rasch zunehmende Anzahl verschiedener Tätigkeitsfelder, wie Hausbesuche von Kranken, Kinder- und Jugendarbeit, und die damit einhergehende Zersplitterung der Gemeindearbeit in und um Hamburg führte schließlich zu dem Entschluss, ein neues Zentrum für die Gemeindearbeit außerhalb der Innenstadt zu schaffen. Die Suche nach einem geeigneten Grundstück und entsprechende Verhandlungen mit dem Senat ermöglichten den Erwerb von städtischem Bauland an der Schäferkampsallee.
1911 wurde der Grundstein für den Neubau eines repräsentativen Kirchengebäudes gelegt.
Die im romanischen Stil von dem Architekten Johannes Martin Friedrich Grotjan errichtete Kirche erlebte ihre Einweihung am Ostersonntag 1912.
Die romanische Formen wie Rundbögen und gedrungen wirkende Säulen finden Ergänzung durch frei interpretierte Zierelemente norddeutscher Giebelhäuser.
Gleich nach Fertigstellung der Kirche wurde mit dem Bau eines neuen Diakonissen- und Krankenhauses begonnen. Auch hier hat Grotjan in Anlehnung an das Kirchengebäude Stilelemente der Romanik verwendet.
Das Jerusalem-Krankenhaus, das bis heute einen guten Ruf über die Grenzen der Stadt Hamburg hinaus hat, wurde ein wesentliches Tätigkeitsfeld von Pastor Arnold Frank und der Gemeinde.
Das Leitungsgremium der Jerusalem-Gemeinde fand in dem 1912 eingeführten Pastor Ernst Moser eine weitere tragende Säule für ihre vielseitigen Arbeitsgebiete.
Die Pastoren und auch deren Ehegattinnen arbeiteten eng und freundschaftlich zusammen.
Während Aston vor allem als Seelsorger hervortrat, baute Moser die Jugendarbeit der Gemeinde auf. Arnold Frank blieb unbestritten die charismatische Führungsfigur der Jerusalem-Gemeinde.
In den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg wuchsen Gemeinde und Schwesternschaft an. In der Blütezeit standen fast 80 Diakonissen im Dienst der Jerusalem-Arbeit. 1926 wurde das Krankenhaus durch einen Erweiterungsbau vergrößert, in dem eine moderne Frauenklinik Platz fand. Für die Unterbringung der großen Anzahl der Diakonissen erwarb die Gemeinde 1936 ein angrenzendes Haus in der Schäferkampsallee, das zu Ehren der in demselben Jahr verstorbenen Ehefrau von Pastor Frank „Ella-Louisa-Haus“ genannt wurde.
Die tiefe Verbundenheit des Kirchenvorstandes und vieler Gemeindemitglieder mit ihren Pastoren war auch ein Grund dafür, dass sie die schweren Zeiten der nationalsozialistischen Ära rechtzeitig im englischen Exil oder in endgültigem Abschied von Deutschland im Ausland verbringen konnten. Sie blieben jedoch alle der Arbeit an „Jerusalem“ bis zu ihrem Lebensabend tief verbunden. Für einige Hamburger Familien war die Arbeit an „Jerusalem“ als Mitglieder des Kirchenvorstandes eine über Generationen hinweg getragene Tätigkeit.
1936 verbot die Staatspolizei das Mitteilungsblatt „Zions Freund“. Parallel fand die Arbeit der Judenmission in der heutigen Budapester Straße ein Ende. In demselben Jahr gelang es Dr. Arnold Frank nach zähen Verhandlungen, die Jerusalem-Kirche dem diakonischen Mutterhaus in Bern zu unterstellen, so dass die Kirche und ihr Eigentum vor der Enteignung durch den nationalsozialistischen Staat geschützt werden konnten.
Nach wiederholten Verhören und einer eine Woche dauernden Festnahme durch die Gestapo konnte Frank von damaligen Mitgliedern des Kirchenvorstandes überzeugt werden, Deutschland zu verlassen. Nach 50 Jahren Arbeit an seinem Lebenswerk in Hamburg wird Frank im Alter von über 80 Jahren 1939 von einem befreundeten Vorstandmitglied in Begleitung seiner Tochter Feddy Harpur über die Grenze nach Dänemark gebracht, um von dort weiter nach England zu reisen.
1939 schloss und versiegelte die Staatspolizei die Jerusalem-Kirche und verbot die Gemeinde.
Gottesdienste konnten - wenn überhaupt - nur noch als Schwesterngottesdienste in den Räumen der Schwesternschaft im Diakonissenhaus gefeiert werden. Die Gemeindearbeit kam zum Erliegen und fand nur noch in der Illegalität statt.
In der Nacht vom 27. Juli 1942 wurde das Hauptschiff der Kirche durch Brandbomben zerstört. Der Wiederaufbau des Kirchengebäudes konnte erst 1953 nach Plänen des Architekten Kurt Schrieber in vereinfachter Form abgeschlossen werden, u. a. verzichtete man auf die Wiederherstellung des Kreuzdaches am Kirchengebäude und gab dem einfachen Satteldach den Vorzug, was Veränderungen der Seitenansicht mit sich brachte. Dennoch wurde das Kirchengebäude von dem Amt für Denkmalschutz als schutzwürdige Bausubstanz eingestuft.
An der Neueinweihung der Kirche nahm auch Arnold Frank teil. Die Gemeinde würdigte ihren „geistigen Vater“ mit einer umfangreichen Jubiläumsfestschrift. Vom Bundespräsidenten wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Frank starb 1965 im Alter von 106 Jahren in Belfast, seine Urne wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof auf dem Schwesterngrab beigesetzt.
Das Krankenhaus überstand den Krieg unter anderem Namen. Auf Anordnung der Staatsverwaltung wurde der Name des Krankenhauses 1941 arisiert. Bis 1945 wurde es als „Krankenhaus am Moorkamp“ geführt.
Durch die Entstehungsgeschichte von „Jerusalem“ und aufgrund der Persönlichkeit von Pastor Arnold Frank war die Verwaltungsstruktur der gesamten Einrichtung in ihrer Einheit auf die Figur des Pastors zugeschnitten. So war der Pastor der Gemeinde zugleich Rektor des Diakonissen- sowie des Krankenhauses. Dies wurde bei den Nachfolgern Franks bis zu Pastor Dr. Siegfried Bergler beibehalten.
Helmut Weber, der als Nachfolger von Pastor Frank bereits im Mai 1939 seinen zunächst nur wenige Monate andauernden Dienst antrat, konnte nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tätigkeit als Pastor der Gemeinde und Vorsteher der Diakonissenanstalt 1946 wieder aufnehmen. Weber engagierte sich im „Evangelischen Ausschuss für den Dienst an Israel“ und suchte den Kontakt zur benachbarten jüdischen Gemeinde. Für Weber war - vor dem Hintergrund der erschreckenden Geschehnisse - die wichtigste Arbeit der Gemeinde, an einem neuen Verhältnis von Christen und Juden zu arbeiten. An die Stelle der Judenmission sollte der christlich-jüdische Dialog treten.
Durch die große Einflussnahme des nunmehr als Ehrenpräsident der Judenchristlichen Allianz in London tätigen Dr. Arnold Frank und des Mutterhauses in Bern entschloss man sich 1948 in Bad Bevensen, in der Nordheide ein Heim für Waisenkinder und Kinder judenchristlicher Herkunft zu errichten. In den folgenden Jahren erwarb die Gemeinde noch zwei weitere Kinder- und Jugendheime in Erbstorf und Lüderitz.
Ein Übernahmevertrag von 1961 zwischen der Irish Presbyterian Church und der Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate führte dazu, dass die Jerusalem-Gemeinde nun – als Personalgemeinde ohne Pfarrbezirk mit dem Auftrag „Dienst an Israel“ – eine Gemeinde im Kirchenkreis Hamburg-Ost der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) ist.
Pastor Weber starb 1973 in Hamburg. 4 Jahre später beendet der letzte von der Irish Presbyterian Church nach Hamburg geschickte Amtskollege Webers, Pastor John Robinson, seinen hiesigen Dienst. Ein Kapitel von zwischenstaatlicher christlicher Arbeit fand damit sein Ende.
Von 1974 bis 1993 diente Paul-Gerhard Pawlitzki als Pastor der Jerusalem-Gemeinde und als Rektor des Diakonissen- und Krankenhauses. Zu Beginn seiner Amtszeit erschien die erste Ausgabe des Jerusalem-Briefes. Die Sonntagsgottesdienste und Morgenandachten, die bereits in den Jahren davor per Fernansprache in die Patientenzimmer des Krankenhauses gesendet wurden, wurden nun per Videotechnik übertragen.
1993 wurde Dr. Siegfried Bergler neuer Pastor und Rektor in „Jerusalem“. Bergler, 1953 in Lauenstein geboren, studierte evangelische Theologie, Judaistik und Anglistik in Neuendettelsau, Tübingen, Jerusalem und München. Nach Ende seiner Tätigkeit als Studienleiter für Fragen des christlich-jüdischen Dialogs in Hannover und Lehrbeauftragter am Institutum Judaicum Delitzschianum der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster führte ihn sein Weg nach Hamburg. Neben seiner Arbeit in den Einrichtungen von „Jerusalem“ wurde er Lehrbeauftragter für rabbinische Literatur und Theologie am Fachbereich Evangelische Theologie der hiesigen Universität.
In seiner Amtszeit wird die bereits von Pastor Weber angestrebte Arbeit des „Dienstes an Israel“ der Jerusalem-Gemeinde im Bereich des christlich-jüdischen Dialogs intensiviert. Die vormalige Missionstätigkeit am jüdischen Volk wird nicht weiter fortgesetzt. Ein offener Dialog unter gleichberechtigten Partnern wird das Ziel, wobei Christen Einsicht in die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens gewinnen sollen. Das neue Profil der Gemeindearbeit führt zur kritischen Auseinandersetzung mit der Irischen Kirche, die ihre missionarischen Grundsätze nicht mehr erfüllt sieht.
1994 bezog die damalige Bischöfin Maria Jepsen mit ihrem Ehemann Peter Jepsen eine Privatwohnung im Diakonissenhaus an der Schäferkampsallee.
Pastor Dr. Siegfried Bergler verließ im September 2005 die Jerusalem-Gemeinde und kehrte in die bayerische Landeskirche zurück. Es folgte eine dreijährige Vakanz; bis Oktober 2008 hatte die Jerusalem-Gemeinde keinen Pastor. In dieser Zeit gestalteten Pastorinnen und Pastoren anderer Gemeinden aus Hamburg und Umgebung die Gemeindeveranstaltungen.
Seit dem 1. Oktober 2008 ist Dr. Hans-Christoph Goßmann Pastor der Gemeinde. Goßmann, 1959 in Husum geboren, studierte evangelische Theologie, Erziehungswissenschaft, Judaistik und Semitistik mit dem Schwerpunkt Hebraistik in München, Kiel, Jerusalem, Münster und Tunis. Er war zuvor als Hebräischlehrer an einem Kieler Gymnasium, Mitarbeiter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, Beauftragter der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche für den christlich-islamischen Dialog und Gemeindepastor in Tellingstedt/Dithmarschen tätig. Neben seinen Tätigkeiten in „Jerusalem“ ist er Lehrbeauftragter am Fachbereich evangelische Theologie der Universität Hamburg (Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft), Beauftragter des Kirchenkreises Hamburg-Ost für den christlich-jüdischen Dialog und ev. Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Hamburg.
Im Jahr 2009 wurde die „Jerusalem-Akademie“ gegründet, durch deren Arbeit die Gemeinde ihre Bildungsverantwortung – insbesondere im Bereich der christlich-jüdischen Beziehungen – wahrnimmt. Sie wirkt durch Veranstaltungen – Einzelvorträge, Vortragsreihen, Workshops, Studientage u.a. – sowie durch Bücher, die aus der Arbeit der Akademie hervorgehen, in die Öffentlichkeit.
Es bestehen gute Beziehungen zur Jüdischen Gemeinde Pinneberg. Im Jahr 2016 wurde mit dieser Gemeinde ein Gemeindepartnerschaftsvertrag abgeschlossen.